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12. Juni 2013

Fragen zur Qualität Berliner Musikschulpolitik

Eine Analyse zur Situation der Berliner Musikschulen von Prof. Frank Hill, Vertreter des DTKV Berlin e.V. im Musikschulbeirat bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft

Die gute Nachricht ist, dass es auch in der Berliner Politik Kulturbürger mit Visionen gibt. Die bildungspolitischen Entscheidungen Berlins zum Thema Musikschulen lassen deren hilfreichen Einsatz allerdings seit Jahrzehnten gewohnt untergehen. Als Ergänzung zu den aktuell nicht mehr verständlichen Debatten im Berliner politischen System hat dieser Artikel das Konzept, die Wahrnehmung auf handfeste Realitäten zu richten, welche die Senatspolitik uns Bürgern als Musikschüler, Musikschullehrer, Musikschulleiter und Verwaltungsmitarbeiter schafft.

Musiker neigen traditionell zu einer Lebensphilosophie, welche die Nähe zur künstlerischen Erfüllung über alles stellt. Das ist missbrauchbar, so wird auch die Qualität der Berliner Musikschularbeit vom ideellen Einsatz der Lehrer und Leiter getragen. Diese Neigung öffnete der Berliner Politik die Tür zu den aktuellen fatalen Strategien.

Es folgen vier ausgewählte Themen, die stellvertretend für eine umfassende Situation stehen. Mit der Definierung der Berliner Musikschullehrer als Unternehmer stehen die Berliner Musikschulen vor der strukturellen Auflösung.
Das sich ergebende Bild lässt sich in einer These zusammenfassen:

Berliner Musikschulpolitik verhindert Qualität.

Keine Qualitätsindikatoren, kein Qualitätsmanagement

Das Berliner Schulgesetz von 2004 verpflichtet im § 124(4) zu einem ständigen Verfahren „Qualitätsmanagement“ an Berliner Musikschulen. 2005 initiierten die Musikschulleitungen dem gesetzlichen Auftrage folgend die Bildung von Kollegengremien. Nach monatelangen Sitzungsserien – in der Berliner Situation naturgemäß dominant von freiberuflichen Lehrkräften getragen – lagen Arbeitspapiere vor, die Wege zu verbesserter Arbeitsorganisation und zur qualitativen Steigerung des Unterrichts wiesen. In einem zweiten parallelen Verfahren „Qualitätsindikatoren“ war ein wesentlicher Faktor die Einbindung freiberuflicher Lehrkräfte. Das war vor der Scheinselbständigkeitsvermeidung.

Mit Einsetzen der Scheinselbständigkeitsdebatte: Ab sofort wurde der Faktor „Einbindung der freiberuflichen Lehrkräfte“ (93%) in den Qualitätsindikatoren als justiziables Indiz für die vom Senat gefürchtete Scheinselbstständigkeit benannt und intern unterbunden. An Berliner Musikschulen wurde aus dem Qualitätsindikatoren-Gebot ein sofortiges Qualitätsindikatoren-Verbot. Das vorausgegangene herausragende Engagement der freiberuflichen Musikschullehrer war von einem Tag auf den anderen nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich sinnlos.

Fazit: Der Berliner Senat hat die Qualitätsindikatoren geopfert, um den größten Teil der Sozialleistungen nicht zahlen zu müssen.

Vorsätzliche Qualitätssenkung über die Kostenleistungsrechnung

Wie schon gesagt, Qualitätsindikatoren werden vom Berliner Senat nicht mehr abgefragt. Stattdessen gilt wieder ungebremst das Verfahren „Kostenleistungsrechnung“. Damit werden durch den sozialdemokratisch geführten Senat jene Musikschulen am höchsten bewertet, welche kapitalistisch am billigsten produzieren. Die Qualität des Unterrichtes ist kein Bewertungskriterium mehr.

Als ökonomische Hebel wurden beispielsweise eingestellt: Die Arbeit mit ungelernten Lehrkräften wird belohnt. Das Berliner Schulgesetz verlangt übrigens einen Hochschulabschluss. Das Abschaffen eigener Musikschulräume wird belohnt. Im Gespräch urteilten Berliner Musikschulleiter folgendermaßen: „Die Kostenleistungsrechnung gefährdet die Qualität massiv.“

Verhinderung von Besetzungsverfahren für Fachbereichsleitungen

Der Berliner Senat unterstützt seit Jahrzehnten den mit Vehemenz betriebenen Abbau von Festanstellungen an Berliner Musikschulen. Gleichzeitig dürfen nur Festangestellte Fachbereiche leiten. Da schon lange keine Berliner Musikschule genügend feste Stellen hat, wurde es üblich, Fachbereichsleitungen mit Kollegen zu besetzen, die nicht kündbare alte Festanstellungen haben – ohne Auswahlverfahren.

Wegen des laufenden Stellenabbaus haben die 7% Festanstellungen eine weiter stark fallende Tendenz. Die Struktur steht vor ihrer Zerstörung. Um alle Fachbereiche „zu besetzen“, gibt es Fachbereichsleiter, die per Bestellung (Dienstanweisung) bis zu vier (sie lesen richtig!) verschiedene Fachbereiche leiten müssen. Sehr oft gegen deren Willen. Besonders delikat ist hierbei, dass die Kollegen für die unfreiwilligen Fachbereiche nicht qualifiziert sind. Sie sollen aber auch höchstqualifizierte Lehrer ihrer Fachbereiche – welche Konzerte geben, an Hochschulen Lehraufträge haben, CDs einspielen oder Lehrwerke publizieren – künstlerisch und didaktisch überzeugen.

Fazit: Ein weiteres Beispiel schlechter Unternehmensführung. In seriösen Betriebsstrukturen werden Leitungsfunktionen mit besten Bewerbern innerhalb eines Verfahrens besetzt.

Kollaps der Verwaltung

Auf allen Fachebenen der Berliner Musikschulszene wird der Senat vor den verwaltungstechnischen Folgen der „Scheinselbständigkeitsvermeidung“ gewarnt. Ohne Erfolg. Obwohl sich ganz klare Indizien für den bevorstehenden senatserzeugten Kollaps zeigen:

In Berlin-Mitte wurde in diesem Jahr die Funktion der Zweigstellenleitung Wedding für festangestellte Mitarbeiter ausgeschrieben. Anzahl der Bewerber: 0

Bewerber verstehen inzwischen, was Dienstvereinbarungen über die Höchstzahl erlaubter Überstunden an Berliner Musikschulen bedeuten. Mit ständig wachsenden bürokratischen Aufgaben bei weiter laufendem Mitarbeiterabbau überschreiten Musikschulleiter diese Grenze dauerhaft. Das Abschreckende: Bezirke mahnen ihre Musikschulleitungen wegen zu vieler Überstunden an … beide Seiten wissen nicht, was sie weglassen sollen … gleich darauf geht es in gesteigerter Form weiter … das Amt löst die Sache mit Schweigen … die Musikschulleitungen arbeiten mit noch mehr Überstunden …

In diese bestehende Situation hinein wird nun eine nie gekannte weitere Bürokratielawine einschlagen, welche sich aus der „Scheinselbständigkeitsvermeidung“ ergibt. Jede Menge versteckter Arbeiten, welche bisher von Musikschullehrern stillschweigend geleistet wurde, müssen durch Musikschulleiter und deren immer weniger werdende Bürokräfte nun vertraglich dokumentiert, kontrolliert und abgerechnet werden.

Musikschulleiter müssen nun definitiv jede Team-Absprache äußerst genau prüfen, ob diese nicht als Beleg für Scheinselbständigkeit gelten könnte und dieses auch dokumentieren. Denn jeder Kollege muss als Einzelunternehmer gelten. Seine mögliche Klage vor dem Sozialgericht muss durch gute Dokumentation verhindert werden.

Die Anwesenheit eines jeden Unternehmers Musikschullehrer auf z. B. Fachbereichssitzungen muss nun bezahlt werden, da er sonst scheinselbständig sein kann. Damit ergeben sich sportliche Herausforderungen für die an einigen Musikschulen sogar schon im jetzigen Zustand offiziell als unterbesetzt bestätigte Verwaltung: Jeder Musikschullehrer braucht für jede Bewegung im Gebäude eine individuelle Vereinbarung in doppelter Ausführung, welche ausgegeben, unterschrieben zurückkommen und als Überweisung gebucht sowie überprüft werden muss. Zu bemerken wäre noch, dass damit jede Versammlung jedes Fachbereiches eine verwaltungstechnische Kontroll-Linie über mehrere Monate auslöst.

Noch ein Beispiel: Wie üblich übernimmt ein Berliner Musikschullehrer einen Raum für sein Klassenvorspiel (eine der wichtigsten Maßnahmen zur Entwicklungsförderung der Schüler). In den meisten Fällen muss er Unordnung beseitigen, da es keine Haustechniker gibt: Stühle umräumen und aufstellen, Notenständer aus anderen Räumen holen, etc. Das wird jetzt in Rechnung gestellt. Oder die Musikschule übergibt einen nutzbaren Raum an den Unternehmer Musikschullehrer, den sie selbst organisieren, sprich bezahlen muss. Oder die Musikschulleiter räumen selbst auf.

Die gesellschaftlich beliebten Tage der offenen Tür oder Sommerfeste der Musikschulen sind nun von den (vielleicht noch) 7% der Festangestellten zu leisten. Fragen Sie doch einmal Musikschulleiter, wie realistisch das ist. Alle Leistungen der hinzugebuchten Unternehmer Musikschullehrer werden vertraglich mit Bezahlung ausgehandelt. Das ergibt mit Sicherheit den sofortigen Kollaps der Finanzen oder der Qualität. Wir haben die Wahl.

Fazit: Leiter, Lehrer und Verwaltungsangestellte an Berliner Musikschulen bekommen in ihrer Arbeit bürokratischen Gegenwind in Orkanstärke.

Berliner Musikschulen zahlen für höher qualifizierte Arbeit schlechter

Leistungsgerechte Bezahlung wird in unserer Gesellschaft flächendeckend als ein entscheidender Hebel der Qualitätssicherung angesehen. Die Staffelung der Bezahlung nach Qualifizierung in der Wirtschaft kennen wir. Auch im öffentlichen Dienst gibt es eine Staffelung, z. B. Grundschul- und Gymnasiallehrer, drei Wertigkeiten von festangestellten Professoren an Hochschulen, TVÖD und TVL (früher BAT).

Beispiel 1: Kollege A ist festangestellter Musikschullehrer in Berlin / mit zunehmenden Erfahrungsstufen (Dienstjahren) steigt seine Bezahlung an, Kriterien des Kollegen B braucht er dafür nicht

Kollege B ist Honorarkraft in Berlin / nicht bewertet wird an Berliner Musikschulen komplett alles, was sonst als Leistungsindikator gilt, momentan lehren (noch) Honorarkräfte mit folgenden Kriterien: z. B. tragende Arbeit in der Studienvorbereitung im instrumentalen Hauptfach / Ausbildungserfolge wie Preisträger bei Wettbewerben / Professuren und Promotionen / internationale Konzerterfahrung / Rundfunk-, Fernseh-, und CD-Produktionen / Erfahrung in Berliner Spitzenorchestern / Autorenschaft Lehrwerke (einige haben int. Standard gesetzt) / Kollege B wird deutlich niedriger bezahlt als Kollege A, kein Anstieg nach Dienstjahren möglich

Kollege C ist ebenfalls Honorarkraft in Berlin und lebt sehr ruhig / Kollege C und Kollege B werden gleich bezahlt / (klar gesagt werden muss, dass auch Kollege C bessere Bezahlung verdient)

Fazit: Den ökonomischen Hebeln folgend lohnt Leistung an Berliner Musikschulen nicht.

Beispiel 2: Wer für die Musikschule wesentliche Qualität erbringt, verdient weniger. Besonders hoch bewertet wird die Anzahl von erfolgreich an Wettbewerben (z. B. Jugend Musiziert) teilnehmenden Schülern oder die Anzahl erfolgreicher Studienbewerber aus Berliner Studienvorbereitungen. Denn Wettbewerbe oder Studienvorbereitung sind ohne erheblichen Mehraufwand nicht möglich. Die unverzichtbare sehr große Anzahl von Zusatzstunden wurde bisher in treuer Selbstausbeutung von Berliner Musikschullehrern stillschweigend umsonst gegeben. Das wird erwartet.

Der Senat definiert den Musikschullehrer nun als Unternehmer. Aus unternehmerischer Sicht ist es unakzeptabel, Höchstleistungen dauerhaft unentgeltlich zu erbringen, aus denen der Geschäftspartner geldwerten Vorteil bezieht.

Bleibt abzuwarten, was aus dem Berliner Senat zu hören sein wird, wenn dessen den Musikschulen aufgezwungene Denkweise in reale „Qualität“ umschlägt. Das haben wir nicht gewusst, kann jedenfalls kein Politiker sagen.

10. Juni 2013



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