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21. Mai 2020

Update vom 19.05.2020 zur Risikoeinschätzung einer Coronavirus-Infektion im Bereich Musik des Freiburger Instituts für Musikermedizin

Seit der ersten, am 25.4.2020 veröffentlichten Risikoeinschätzung wurden weitere Fragen – bedingt durch die dynamische Lage der Corona-Pandemie – aufgeworfen. Mit der schrittweisen Lockerung des sog. Lockdown seit dem 6.5.2020 – die auch je nach Bundesland zum Teil sehr unterschiedlich ausfällt – werden die Fragen aus dem Bereich der professionellen Musik und der Laienmusik immer drängender, wie und wann musikalische Aktivitäten weiter aufgenommen werden können.

 

Risikoeinschätzung einer Coronavirus-Infektion im Bereich Musik (zweites Update vom 19.05.2020)

Prof. Dr. med. Dr. phil. Claudia Spahn, Prof. Dr. med. Bernhard Richter
Leitung des Freiburger Institut für Musikermedizin (FIM), Universitätsklinikum und Hochschule für Musik Freiburg

Unter Mitarbeit folgender Kollegen und Fachbereiche am Universitätsklinikum Freiburg:
Dipl.-Biol. Armin Schuster, Technische Krankenhaushygiene (Institut für Infektionsprävention und Krankenhaushygiene, Leiter Prof. Dr. med. H. Grundmann)
Prof. Dr. med. Hartmut Hengel (Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie)
Prof. Dr. med. Hartmut Bürkle (Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin)

 

Präambel

Seit der ersten, am 25.4.2020 veröffentlichten Risikoeinschätzung wurden weitere Fragen – bedingt durch die dynamische Lage der Corona-Pandemie – aufgeworfen. Mit der schrittweisen Lockerung des sog. Lockdown seit dem 6.05.20 – die auch je nach Bundesland zum Teil sehr unterschiedlich ausfällt – werden die Fragen aus dem Bereich der professionellen Musik und der Laienmusik immer drängender, wie und wann musikalische Aktivitäten weiter aufgenommen werden können. Diese betreffen den Gemeindegesang im Gottesdienst ebenso wie organisierte Formen des Singens und Musizierens in der Laienmusik sowie die professionelle Musikausübung von Orchestern, Chören, Bands und Ensembles in Theatern, Konzert- und Opernhäusern sowie an anderen Veranstaltungsorten.

Hinsichtlich der musikalischen Genres bestehen gemeinsame und ähnliche Fragen. Eine besondere Bedeutung kommt dem Gesangs- und Instrumentalunterricht an Musikhochschulen, Musikschulen und anderen Ausbildungseinrichtungen zu.

Mit der Ausweitung der Personenzahl, die sich laut der Rahmenvorgaben in manchen Bundesländern versammeln dürfen, rücken nun Gruppenformationen beim Musizieren in Orchester, Big Band und Chor in den Fokus. Dies erhöht die Komplexität der zu erörternden Fragen. Insbesondere auch für die professionell tätigen Musiker*innen stellen sich Fragen der Vergleichbarkeit mit anderen Arbeitssituationen, beispielsweise inwiefern sich das Infektionsrisiko bei der Arbeit in einem Großraumbüro von der Probenarbeit eines Orchesters unterscheidet. Die in einzelnen Bundesländern in Aussicht gestellte Wiederzulassung von Publikum kündigt zusätzlich weitere Fragen an.

Grundsätzlich gelten für Musiker*innen die bundesweit und in den einzelnen Bundesländern gültigen Vorschriften (Versammlungen, Kontakte, Mindestabstand und Mund-Nasen-Schutz (MNS)), welche in den Ministerien spezifiziert und mit den Gesundheitsämtern (sowie möglichen anderen zuständigen Behörden und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung) abgestimmt werden. Hierbei stellt es eine große Herausforderung dar, angemessene Handlungsempfehlungen für die spezifischen und unterschiedlichen Situationen im professionellen und im Laienmusikbereich sowie in der klassischen und populären Musik zu entwickeln. In diesem Zusammenhang sollen fachliche Einschätzungen, wie die vorliegende, Hinweise für Handlungsentscheidungen liefern, welche an anderer Stelle – auf politischer sowie institutioneller Ebene – getroffen werden müssen.

Erste wissenschaftliche Untersuchungen und fachliche Diskussionen unter Expert*innen sind in den letzten Wochen entstanden. Auch liegen von verschiedenen Stellen aktuelle Gefährdungsbeurteilungen für Musiker*innen und Sänger*innen vor (u.a. der Charité (Mürbe et al. sowie Willich et al.), der DGfMM (Firle et al.), von Kähler & Hain, sowie des Arbeitskreises Gesundheit und Prophylaxe der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) mit Kommentar des Verbandes Deutscher Betriebs und Werksärzte VDBW AG Bühnen und Orchester (Böckelmann et al.). Wir als Autor*innen bemühen uns, im vorliegenden Papier wissenschaftliche Ergebnisse möglichst vollständig nach aktuellem Stand in unsere Einschätzung einzubeziehen. Ziel bleibt es, getroffene Einschätzungen anhand neuester wissenschaftlicher Ergebnisse anzupassen und einen Konsens hierüber herbeizuführen.

Wir beziehen in unserer Risikoeinschätzung die Ergebnisse der Untersuchung bei Bläser*innen und Sänger*innen ein, die von den Bamberger Symphonikern initiiert und am 5.5.2020 durchgeführt wurde und an der die Autor*innen des FIM beteiligt waren. Für die Messungen wurde die Firma Tintschl BioEnergie- und Strömungstechnik AG beauftragt. Es wurden alle im Orchester üblichen Blasinstrumente sowie Blockflöte und Saxophon sowie Sänger*innen (klassischer Gesang und populäre Gesangsstile) in die Untersuchung einbezogen. Es wurden sowohl qualitative Versuche zur Strömungsvisualisierung als auch quantitative Messungen der Luftgeschwindigkeiten in verschiedenen Abständen durchgeführt. Die Darstellung der Messergebnisse sowie deren Diskussion werden in einem weiteren Up-date veröffentlicht werden.

In den Bereichen, in welchen noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, stellen die Ausführungen weiterhin fachliche Einschätzungen aus Sicht der Autor*innen dar. Das hier vorliegende Papier ist demnach immer noch eine Momentaufnahme, die im weiteren Verlauf nach dem jeweils neuesten Stand bestehender Verordnungen und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse überprüft und angepasst werden wird.

Um die Qualität und Zuverlässigkeit der vorliegenden Risikoeinschätzung zu erhöhen, haben wir am Universitätsklinikum Freiburg eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe mit Kollegen des Instituts für Infektionsprävention und Krankenhaushygiene (Leiter Prof. Dr. med. H. Grundmann), Prof. Dr. med. Hartmut Hengel (Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie) und Prof. Dr. med. Hartmut Bürkle (Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin) initiiert. Die genannten Kollegen haben das vorliegende Papier aus ihrer jeweiligen Fachperspektive mitgestaltet und überprüft.

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie verfügen wir alle über zunehmende Erfahrungen hinsichtlich der epidemiologisch wichtigen Faktoren bei der Ausbreitung von SARSCoV-2. Das Robert Koch-Institut und die Politik in Deutschland haben von Anfang an deutlich gemacht, dass das Ziel der zu ergreifenden Maßnahmen die Verlangsamung und Eindämmung der Infektionsausbreitung ist. Leitend hinsichtlich der Maßnahmen ist es, das Risiko einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 möglichst stark zu reduzieren. Auch eine Risikoabschätzung hinsichtlich spezifischer Fragen der Musikausübung sollte sich deshalb aus unserer Sicht daran orientieren, welches zusätzliche Risiko durch die Musikausübung entsteht. Diese Orientierung an bestehenden allgemeinen Standards erscheint uns wichtig, um die politischen Entscheidungsträger in die Lage zu versetzen, angemessene Handlungsempfehlungen für den Musikbereich abzuleiten.

Die hier vorliegende Risikoeinschätzung verfolgt das Konzept des Risikomanagements mit dem Ziel, spezifische Risiken im Bereich der Musik zu identifizieren und gleichzeitig risikoreduzierende Maßnahmen anzubieten. Hierdurch könnten flexible, an die jeweiligen Musiker*innen und Musiziersituationen angepasste Konzepte eines Risikomanagements entwickelt und die Fragen im Zusammenhang mit der Musikausübung angemessen in den gesamtgesellschaftlichen Rahmen integriert werden. Im Sinne einer flexiblen Risikoadaptation könnte man auch in Zukunft stärker zwischen Infektions- und Erkrankungsrisiko unterscheiden und differenzierte Vorsichtsmaßnahmen entsprechend der Disposition der Musiker*innen (Vorerkrankungen, Alter etc.) praktizieren. Auch die lokale und zeitliche epidemiologische Situation (z.B. in einer Stadt oder Gemeinde) könnte für die Strategien zur Infektionsvermeidung beim gemeinsamen Musizieren Beachtung finden. So ließe sich z.B. das kollektive Risiko einer Chorprobe in Zukunft anhand einer COVID-19 tracing-App – die aktuell noch in Entwicklung ist –, besser einschätzen. Auch wenn aktuell noch keine ausreichenden Grundlagen und Tools für eine solchermaßen differenzierte Risikoadaptation gesamtgesellschaftlich und im Muszierbereich vorliegen, so versuchen die Autor*innen im vorliegenden Papier doch, einen ersten Schritt auf dem Weg dorthin zu gehen.


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Im Folgenden finden Sie Basisinformationen zu den Übertragungswegen, sowie detaillierte  Ausführungen zu Spezifischen Gefährdungsaspekten im Bereich Musik und zum Risikomanagement.

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