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21. März 2023

Ein bedenkliches Signal für die freie Musikszene

Hans-Peter Stenzl und das Bundespräsidium des DTKV vermitteln ein wenig überzeugendes Bild von Interessenvertretung. Ein Kommentar


Wer sich in den letzten Monaten und Jahren mit Honorarstandards und fairen Vergütungen für freischaffende Musiker*innen beschäftigt hat und die Entwicklungen, die derzeit in vielen Musikverbänden und auf mehreren politischen Ebenen im Gange sind, zur Kenntnis genommen hat, dürfte angesichts des Anfang März 2023 in der neuen musikzeitung erschienenen Interviews mit Hans-Peter Stenzl, dem Vizepräsidenten des DTKV-Bundesverbands, verwundert oder gar befremdet gewesen sein.

Laut Stenzls Worten setzt sich der Deutsche Tonkünstlerverband »mit allen Kräften« für die Verbesserung der sozialen Lage von Musiker*innen ein. Gemessen an diesen Worten wirkt es überraschend, dass das Bundespräsidium sich im »Kampf um faire Honorare« hier erstmals öffentlich positioniert. Auch in den Gremien und Arbeitsgruppen, die sich mit dieser Thematik in den letzten Monaten befasst haben, hat der Bundesverband recht wenig Präsenz gezeigt. So war weder bei dem branchenübergreifenden Gesprächskreis »Soziale Absicherung verbessern« der Kulturstaatsministerin Claudia Roth und des Arbeitsministers Hubertus Heil im Mai 2022 noch in der Arbeitsgruppe der Sektion Kunst und Kultur der Gewerkschaft ver.di, die im Dezember 2022 ein Modell für Basishonorare für selbständige Kreative vorgelegt hat, ein Vertreter des Bundespräsidiums beteiligt. In einer Diskussionsrunde der Kultusministerkonferenz und einer von dieser eingesetzten Kommission »Faire Vergütung von Künstlerinnen und Künstlern«, durch welche die im Interview erwähnte Honorarmatrix erarbeitet worden ist, hat Stenzl den DTKV repräsentiert, die Gesprächsergebnisse aber anschließend nicht in den Verband kommuniziert. Die einzige bisherige Verlautbarung des Bundespräsidiums ist eine Pressemitteilung mit dem Titel »Faire Honorare jetzt!« vom November 2022, die jedoch keine selbstständige Stellungnahme enthält, sondern den (damals bereits fünf Monate alten) Appell der Kultusministerkonferenz zur Anwendung einer Honorarmatrix reproduziert.

Unvollständige und unzutreffende Darstellungen

Im Herbst 2022 wurde vom Präsidium des Deutschen Musikrats eine Arbeitsgruppe »Faire Vergütung« einberufen, in die Stenzl, wie er im Interview berichtet, für den DTKV entsandt wurde. Ziel der Arbeitsgruppe war allerdings nicht die Behandlung fairer Vergütungen »in allen denkbaren Aspekten«, sondern die Erarbeitung einer konkreten Honoraruntergrenzen-Empfehlung für selbstständige Musiker*innen in öffentlicher Förderung. In den drei Sitzungen der Arbeitsgruppe zwischen November 2022 und Februar 2023 war Stenzl nur ein einziges Mal anwesend; auch von Christian Höppner, der in seiner Funktion als Generalsekretär des Deutschen Musikrats teilnahm, gingen nur wenige Impulse aus.

Im Interview sind einige Informationen enthalten, die zum Einen nicht dem letzten Diskussionstand in der Arbeitsgruppe entsprechen, zum Anderen der noch durch das Präsidium des Deutschen Musikrats zu verabschiedenden Stellungnahme vorgreifen. So wird ein unzutreffender und irreführender Wert für das zu Grunde gelegte jährliche Einkommen (das kein »Jahresgehalt« ist) genannt – dieses ist von einem sozialversicherungspflichtigen Tarif-Bruttoentgelt abgeleitet, entspricht aber natürlich nicht dem Zielumsatz von Freischaffenden, der nach Berücksichtigung aller für die Selbstständigkeit relevanten Faktoren etwa doppelt so hoch liegen müsste, um ein existenzsicherndes Nettoeinkommen zu generieren. Durch diese unvollständigen Informationen entsteht eine sehr unglückliche Außenwirkung. Auch andere, in der Arbeitsgruppe zum Teil kontrovers diskutierte Fragen werden in der Darstellung nicht berücksichtigt: Sollte man sich bei einer Honorarempfehlung für Freischaffende überhaupt an einem Tarif für Angestellte orientieren, und wenn ja, an welchem? Welche Auswirkungen hat die Einbeziehung von »unsichtbarer«, also nicht direkt vergüteter Arbeit Freischaffender auf das Berechnungsmodell?

Bereits auf die einleitende (und entscheidende) Frage, an welchen Bezugsgrößen sich faire Vergütungen eigentlich orientieren sollten, gibt Stenzl keine Antwort. Auch im weiteren Verlauf des Interviews gewinnt man den Eindruck, dass sich hier jemand aus der abgesicherten Position eines Beamten äußert, der mit dem Gegenstand nicht in ausreichendem Maße vertraut ist. Stenzl äußert sich ablehnend gegenüber der Möglichkeit, berufsständischen Forderungen durch Streiks Nachdruck zu verleihen, und plädiert im Musikstudium für eine bedingungslose und »von unternehmerischen Gedanken freie« Konzentration auf künstlerische Inhalte. Mit anderen Worten: Studierende sollten sich keine Orientierung über den Wert ihrer zukünftigen Arbeit verschaffen; Musiker*innen sollten sich nicht politisieren oder für ihr eigenes Auskommen eintreten, sondern sich auf die vorgebliche Solidarität des DTKV und eines Hochschulprofessors, der von der Lebensrealität von Musiker*innen in prekären Einkommenssituationen kaum weiter entfernt sein könnte, verlassen. Diese Haltung ist in ihrer Ideenlosigkeit und Kurzsichtigkeit geradezu bestürzend.

Zurück in den Elfenbeinturm?

Wie man die häufig beschworene und auch im Interview geforderte gesellschaftliche Anerkennung für den Berufsstand erreichen könne, erfährt man von Stenzl nicht. Dabei wäre es interessant zu wissen, welche Maßnahmen der Verbandsführung des DTKV für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen freischaffender Musiker*innen vorschweben, und auf welche Weise sie einen Zugewinn an Mitgliedern für den Verband generieren möchte. An die Stelle konkreter Perspektiven treten wohlklingende, aber inhaltsleere Worte, wie sie bereits im Titel des Interviews zu finden sind. Stenzls eigenen Studierenden bleibt zu wünschen, dass sie, sollte ihnen jemals »eine berufliche Umorientierung angezeigt erscheinen«, an anderer Stelle kompetente Beratung finden mögen. Der Tonkünstlerverband scheint hier jedenfalls keinen konkreten Handlungsbedarf zu sehen.

Hans-Peter Stenzls Sichtweise auf sein eigenes Metier ist hochproblematisch und erscheint angesichts der bereits weit fortgeschrittenen Überlegungen und Initiativen zu Honoraruntergrenzen im Musikbereich kontraproduktiv. Auf diese Weise wirkt das Interview potentiell schädigend für die öffentliche Wahrnehmung des Berufsstands. Falls seine Inhalte über das Bundespräsidium auch in den Deutschen Musikrat und die Politik getragen werden, wird möglicherweise suggeriert, es handle sich um die Position des gesamten DTKV, was nicht der Fall ist: Einige Landesverbände haben sich deutlich von den Äußerungen distanziert. Die durch das Interview transportierte Haltung, sollte sie nicht revidiert werden, stellt letztlich eine Missachtung der Erfordernisse und Herausforderungen der Interessenvertretung freischaffender Musiker*innen dar und sendet eine verhängnisvolle Botschaft – sowohl in den Verband hinein als auch in die Öffentlichkeit.

» Erschienen in der nmz 04 / 2023

Simon Borutzki und Wendelin Bitzan

 

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