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14. Juni 2023

Krank sein als freischaffende:r Musiker:in

Hals- und Beinbruch: Über das Kranksein als Musiker:in spricht man nicht. Falls Du selbst freiberuflich tätig bist, solltest Du Dir aber über alternative Absicherungsmöglichkeiten im Krankheitsfall Gedanken machen. Ein Gastbeitrag von Mara Kochendörfer

Erst war es ein Post auf Facebook, der aber viele meiner Kolleg:innen angesprochen hat, und dessen Inhalt ich anderen freischaffenden Musiker:innen nicht vorenthalten möchte. Und so schreibe ich nun eben einen Artikel über Gipsfüße, Kompressionsstrümpfe, Kostenvoranschläge für Fersenentlastungsorthesen und Sanitätshäuser in einer Welt, in der Musik so sexy wie möglich vermarktet wird und Musikerinnen auf Covern und in den sozialen Medien so sportlich und mit so wenig wie möglich bekleidet sind, mit wohlgeformten Dekolletés und operierten Kardashian-liken Ärschen :)

Na gut, die Kompressionstrümpfe und Thrombosespritzen erspare ich Dir! Aber ich habe nach meinem Unfall eine ziemliche Odyssee erlebt, mit fehlenden Zuständigkeitsbereichen, Problemen mit der Krankenkasse und dem Versuch, eine richtige Diagnose zu erhalten. Deshalb möchte ich Dich gerne über die Situation bei einer Krankschreibung als freischaffende Musikerin aufklären. Wenn du selbst Freiberufler:in und über die Künstlersozialkasse (KSK) versichert bist, solltest Du Dir vielleicht auch Gedanken über alternative Versicherungen (Berufsgenossenschaft, Zusatzversicherung, Unfallversicherung) machen. Ich hoffe, Dir nützen die nachfolgenden Infos, die ich nicht hatte, bevor Du in eine ähnliche Situation gerätst.

Am 18. März 2023 hatte ich einen Sturz, der eigentlich weniger dramatisch war, als es die nachträgliche Diagnose ergab. Ich bin in Hamburg (am Vorabend hatte ich ein Konzert mit Michael Bublé gespielt) mit Koffer und Cello zur S-Bahn gerannt und leider so blöd gestürzt, dass ich ein halbes Jahr nicht normal laufen kann. In Berlin (wo das nächste Konzert stattfinden sollte) angekommen, war der Fuß mittlerweile so blau, dass mich das Produktionsteam mit Krankenwagen in die Notaufnahme geschickt hat. Diese war aber so überlastet (weil Samstag und Berlin), dass ich mich nach drei Stunden Wartezeit selbst entlassen habe, um mein letztes Konzert der Tour in Berlin zu spielen – mir wurde tatsächlich mein Cello auf die Bühne getragen.

Wieder in Wiesbaden angekommen, stellte sich der anfänglich diagnostizierte Außenbandriss nach einem Monat als noch komplizierter heraus. Das MRT ergab nicht nur ein zusätzliches Ödem im Sprunggelenk, sondern auch ein Knochenödem. Das CT (nach 2,5 Monaten) brachte zudem die Diagnose eines Fersenbruchs ans Licht. Die anfängliche Schocknachricht, dass ich mindestens ein halbes Jahr nicht normal gehen könnte, hat mich erschreckt. Mittlerweile, nach knapp drei Monaten noch immer auf Krücken, erweist sie sich leider als realistisch.

Punkt 1: Notaufnahme

Das Erste, was Du dort gefragt wirst, ist: »War es ein Arbeitsunfall, oder ist er auf dem Weg zur Arbeit passiert?« oder »War es ein berufsgenossenschaftlicher Unfall?« oder »Sind Sie in einer Berufsgenossenschaft?« Hier muss die Antwort für freischaffende Musiker:innen, die nicht in irgendeinem Anstellungsverhältnis (zum Beispiel Musikschule) stehen oder freiwillig Beiträge in eine Berufsgenossenschaft einzahlen, lauten: »Nein, es war kein Arbeitsunfall, und ich bin nicht bei einer Berufsgenossenschaft versichert.«

Hintergrund: Für uns gibt es keine »Arbeitsunfälle«. Die KSK wird zwar von der Krankenkasse als unser Arbeitgeber betrachtet, weil sie die Arbeitgeberanteile bezahlt. Aber die Versicherung bei einer Berufsgenossenschaft ist für Freiberufler:innen und Selbständige freiwillig. Die wenigsten aber von uns wissen etwas davon und haben sich nicht freiwillig versichert. Falls Du in dem Moment der Vorstellung in der Notaufnahme mit dieser Frage konfrontiert und bei der Suche nach der richtigen Antwort überfordert warst, weil Du a) nicht wusstest, was eine Berufsgenossenschaft ist und ob sie b) vielleicht durch die KSK abgedeckt wird und Du c) die KSK telefonisch nicht erreicht hast (weil sie ja telefonisch nie zu erreichen ist) und einfach gesagt hast: »Ja, es ist auf dem Arbeitsweg passiert«, so kann das viele bürokratische Probleme für Dich nach sich ziehen.

Zum Einen werden jetzt nämlich sämtliche Rezepte nicht auf Deine Krankenkasse, sondern auf die erstbeste Berufsgenossenschaft ausgestellt. Da diese Berufsgenossenschaft Dich dann nicht in ihrem System findet, schickt sie Dir alle Abrechnungen für alle Rezepte nach Hause. Du musst Dir dann für die falschen Rezepte (bedeutet: mit falsch eingetragener Berufsgenossenschaft) ein neues von dem damaligen Notaufnahmearzt ausstellen lassen (also wieder in der Notaufnahme warten), diese wiederum an Deine eigentliche Krankenkasse schicken und dann mit ihr verhandeln, dass sie die Kosten übernimmt. Die Krankenkasse muss aber erst überall nachprüfen, ob Du nicht doch in einer Berufsgenossenschaft versichert bist.

Zusätzlich musst Du nach der ersten Notfalluntersuchung im Krankenhaus alle weiteren Untersuchungen und einen neuen Facharzt selbst organisieren, weil Du ja nicht berufsgenossenschaftlich versichert bist. Das heißt: erst zum Hausarzt, Überweisung zum Facharzt, Warten auf freie Termine, evtl. Überweisung für weitere Untersuchungen wie MRT oder CT, wofür die Wartezeiten mehrere Wochen bis Monate dauern können, weil sie gesetzlich nicht als Notfallmaßnahme betrachtet werden (was nach meiner Meinung ein riesiger Fehler ist, denn bei mir wurde Außenbandriss, Knochenödem und Sprunggelenködem erst auf dem MRT und Fersenbruch erst auf dem CT festgestellt). MRT und CT kannst Du natürlich auch selbst zahlen, wenn Du dafür zeitnah einen Termin bekommen möchtest – es kostet Dich ›nur‹ 300–600 €. Das alles in einem Zeitraum, in dem Du a) eigentlich gesund werden möchtest, Du b) sowieso komplett überfordert bist, weil Du nicht weißt, wie Du Dein Leben gerade organisieren sollst, und Du c) vermutlich ohnehin finanzielle Probleme hast – siehe Punkt 2.

Punkt 2: Krankengeld

Wenn Du krank bist, kannst Du nicht arbeiten, das heißt: kein Einkommen. Krankengeld wird von der Krankenkasse erst ab dem 43. Tag (= 7. Woche) der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gezahlt. Als freischaffende:r Musiker:in sitzt Du also sechs Wochen arbeitsunfähig zu Hause, hast alle laufenden Kosten weiter zu zahlen, musst Dir zudem überlegen, wer für Dich einkauft oder Dich zu Ärzten fährt – und hast keine Einnahmen und 0 € Krankengeld. Und auch danach wird das Krankengeld nicht sofort gezahlt. Ich selbst habe bis heute (Woche 12 nach Unfall – noch immer auf Krücken) noch kein Krankengeld gesehen. Dieses beträgt gesetzlich übrigens 70 % vom Bruttoeinkommen, jedoch höchstens 90 % vom Netto.

Du solltest außerdem darauf achten, dass Du keine Lücke in den Krankschreibungen hast. Denn auch wenn es eigentlich üblich ist, dass für dieselbe Diagnose die Krankentage über das Jahr hinweg zusammen gerechnet werden, halten sich nicht alle Krankenkassen daran. Es kann also vorkommen, dass Deine Krankenkasse wieder von vorne zu zählen beginnt, wenn Du wieder gearbeitet und festgestellt hast, dass es nicht geht (oder schlimmer geworden ist) und Du eine neue Krankschreibung bekommen hast. Eine Kollegin von mir klagt gerade gegen ihre Krankenkasse, damit sie ihr Krankengeld trotz Unterbrechung bekommt. Achte deshalb von vorne herein darauf, dass Du lückenlos krankgeschrieben bist.

Wie also kannst Du vorsorgen, damit Du im Fall eines Unfalls während dieser ersten sechs Wochen Krankengeld bekommst? Über alternative Zusatzversicherungen:

a) Berufsgenossenschaft für freischaffende Musiker:innen

Eine Berufsgenossenschaft ist eine gesetzliche Unfallversicherung. Sie ist eigentlich eine Pflichtversicherung für Angestellte, Du kannst Dich aber auch als Selbständige freiwillig über die gesetzliche Unfallversicherung absichern. Für uns freischaffende Musiker:innen und andere Selbständige ist die VBG zuständig. Diese springt allerdings nur bei Arbeitsunfällen ein, Krankschreibungen aufgrund anderer Erkrankungen oder Privatunfälle müssen über die Krankenkasse abgerechnet werden. Man muss dort sein Unternehmen (= seine selbständige Tätigkeit) anmelden und kann dann die freiwillige Unternehmerversicherung abschließen. Diese zahlt ein Verletztengeld ab dem 22. Tag (= 4. Woche), ein Verletztengeld für die Dauer eines stationären Aufenthalts im Krankenhaus und übernimmt Kosten für die Reha. Hinzu kommen eine Rente bei Minderung der Erwerbsfähigkeit etc. (Witwenrente, Halbwaisenrente).

  • Mindestversicherungssumme: 24.440 €. Dafür hat man Anspruch auf Verletztengeld (siehe Anmerkung 2) von ca. 54,31 € / Tag (entspricht 1629,30 € / Monat) ab dem 22. Tag und bei einer stationären Behandlung in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen für die Dauer des Aufenthalts bereits ab dem ersten Tag.
  • Kosten als Musikpädagog:in: 135,98 € / Jahr (entspricht 11,33 € / Monat).
  • Kosten als Musiker:in (Gefahrstelle 09): 396 € / Jahr (entspricht 33 € / Monat).

Es handelt sich hier um die Mindestbeiträge. Falls du dich höher versichern möchtest, ist dies natürlich möglich. Warum die Differenz zwischen Musikerin und Musikpädagogin so hoch ist, weiß ich nicht ... Zu viele Schlager besoffen von der Bühne gefallen? Eine Einordnung erfolgt über eine betriebswirtschaftliche Auswertung der letzten zwei Jahre.

b) Zusatzversicherung für KünstlerInnen und Publizist:innen

Die Techniker Krankenkasse bietet auch eine Zusatzversicherung für Freiberufler:innen an. Es ist aber gut möglich, dass auch andere Krankenkassen solche Angebote haben, in dem Fall musst Du einfach einmal bei deiner Krankenkasse nachfragen. Bei der Zusatzversicherung der Techniker wird ein Krankengeld ab dem 15. Tag (= 3. Woche) gezahlt.

  • Mindestversicherungssumme: Bei Zahlung des Mindestbeitrags hat man Anrecht auf ein Krankengeld (siehe Anmerkung 1) von 30 € / Tag (entspricht 900 € / Monat) ab dem 15. Tag und bei einer vollstationären Behandlung bereits ab dem ersten Tag in der Klinik.
  • Kosten: Jahresbeitrag von 126 € (entspricht 10,50 € / Monat).

Man kann den monatlichen Beitrag erhöhen, muss dafür aber nachweisen, dass die Versicherungssumme nicht 70 % des Jahresumsatzes überschreitet. Es handelt sich hierbei um eine reine Zusatzversicherung für einen verkürzten Anspruch auf Krankengeld. Andere Leistungen wie Rente bei Erwerbsminderung sind deshalb nicht enthalten, da es sich nicht um eine Unfallversicherung handelt. Ich denke, als freischaffende Musikerin wäre es optimal, über beide Versicherungen abgedeckt zu sein, da die Berufsgenossenschaft nur bei Arbeitsunfällen einspringt und die Zusatzversicherung der Krankenkasse bei allen anderen Erkrankungen ein früheres Krankengeld zahlt.  

c) Unfallversicherungen

Manchmal zahlen private Unfallversicherungen Dir ein Schmerzensgeld. Dies hängt aber von der Versicherung ab. Laut Nachfrage bei der Mannheimer Unfallversicherung (die ja von manchen Verbänden mit reduzierten Beitragssätzen angeboten wird) ist in meiner Versicherung das Risiko der Invalidität und das Krankenhaustagegeld (siehe Anmerkung 4) bei einem stationären Aufenthalt im Krankenhaus mitversichert. Dass Invalidität für Musiker:innen anhand einer Gliedertaxe versichert ist, ist einerseits gut, denn es gibt wenige Versicherungen, die zum Beispiel das Fehlen einzelner Finger so hoch versichern, dass man als gemindert erwerbsfähig eingestuft wird (was aber für uns Musiker:innen natürlich eine Tatsache ist, denn bei fehlenden Fingern können wir unseren Beruf nicht mehr ausüben). Andererseits gibt es in meinem Fall einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit kein Schmerzensgeld, weil ich nie im Krankenhaus war und ›nur‹ über mehrere Wochen arbeitsunfähig bin.

Soviel dazu. Es ist ein langer Text geworden, und ich hoffe sehr, dass er Dir weiterhilft – auch wenn ich gleichzeitig hoffe, dass diese Versicherungen keiner benötigt.



Anmerkungen

[Update vom 01.07.2023] Krankengeld, Verletztengeld, Krankentagegeld und Krankenhaustagegeld sind verschiedene Leistungen, die im Zusammenhang mit Krankheit oder Verletzung gewährt werden können. Hier die Unterschiede zwischen ihnen:

Krankengeld wird in der Regel von der Krankenkasse gezahlt und dient als Lohnersatz für erwerbstätige Versicherte, die aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig sind. Es wird bei Angestellten nach Ende der Entgeltfortzahlung in den ersten sechs Wochen durch den Arbeitgeber gezahlt, ab der 7. Woche für alle Kassenpatient:innen durch die gesetzliche Krankenkasse, und beträgt in der Regel 70 % des Bruttoeinkommens (bzw. 90 % des Nettoeinkommens) vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Die Dauer, für die das Krankengeld gezahlt wird, variiert je nach individueller Situation und kann bis zu 78 Wochen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren betragen.

Verletztengeld ist ähnlich wie Krankengeld, wird jedoch von der gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft) oder vom Unfallversicherungsträger für den Fall einer Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit gezahlt. Die Bedingungen und Höhe des Verletztengeldes können je nach Unfallversicherungsträger variieren.

Krankentagegeld ist eine Leistung, die von privaten Krankenversicherungen angeboten wird. Es tritt in Kraft, wenn Versicherte aufgrund von Krankheit arbeitsunfähig werden. Im Gegensatz zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung wird das Krankentagegeld unabhängig vom Einkommen des / der Versicherten berechnet. Die Höhe des Krankentagegeldes wird bei Vertragsabschluss festgelegt und kann je nach Versicherungspolice unterschiedlich sein. Private Krankentagegeldversicherungen werden oft von Selbständigen oder Personen abgeschlossen, die über kein oder ein geringes gesetzliches Krankengeld verfügen.

Krankenhaustagegeld ist eine Leistung, die bei einem Krankenhausaufenthalt gezahlt wird. Es wird von privaten Krankenversicherungen oder auch von einigen Zusatzversicherungen angeboten. Das Krankenhaustagegeld wird pro Tag des Krankenhausaufenthalts gezahlt und dient dazu, eventuelle zusätzliche Kosten abzudecken oder das Krankenhaustagegeld der gesetzlichen Krankenversicherung zu ergänzen.

Die genauen Bedingungen und Leistungsumfänge können je nach Versicherungsvertrag, der Art der Krankenversicherung und dem individuellen Versicherungsstatus variieren.

Mara Kochendörfer

Quelle: Blog von Mara, The Singing Cellist

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