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13. März 2022
Gedanken zum Ukraine-Krieg (I)
Slava Ukraïni
Ein Text von dem DTKV-Mitglied Mascha Raykhman
Ich bin wütend. Ich bin traurig. Ich schreie. Ich bin erschöpft, überfordert. Ich wache jeden Tag auf mit Angst. Ich bin motiviert zu helfen. Ich bin hilflos. Ich überwinde die Hilflosigkeit.
Ich sehe Fortschritte und glaube an die Tapferkeit und Stärke meines Geburtslandes. Ich versuche, andere zu erreichen, irgendetwas beizutragen, um den Menschen vor Ort zu helfen. Den Menschen, die hierher kommen.
Ich nehme selbst eine Frau mit Sohn auf. Sie haben nichts als ihre zwei Rucksäcke und eine kleine Tasche dabei. Mir ist zum Heulen zumute, als ich sie am Bahnhof abhole. Aus einer zum Bersten vollen Bahn aus Polen, wo Mütter mit Kindern und Kinderwagen kaum rauskommen, um schon am Ostbahnhof auszusteigen, eine Station vor dem Hauptbahnhof.
Die Familie ist dankbar für meine Hilfe – ich bin der Familie dankbar, dass ich nicht tatenlos rumsitzen und Nachrichten verfolgen muss. Dass ich für einen Moment nicht meine Mutter anrufen und fragen muss, wie es all ihren Freundinnen geht, die noch immer in Kyiv, Odessa oder Charkiv in U-Bahnhöfen und Kellern sitzen. Wo die Tochter einer dieser Freundinnen erzählt, dass sie keine Familie mehr in Russland hat, weil ihr vom eigenen Vater dort gesagt wird: »Haltet einfach ein wenig aus, bald sind wir alle zusammen.« Wer in der Ukraine möchte bitte eine neue UdSSR? Wer möchte das in Russland?
Meine Cousinen in Moskau wollen weg, sie wollen nicht mehr in einem solchen Land bleiben. Wie kann dies alles unsere neue Realität sein? Rational ist es mir seit dem 24. Februar um 6:30 Uhr bewusst, als meine Mutter mich aufgelöst anrief und aus dem Schlaf riss. Aber was ist in dieser Situation überhaupt noch rational? Putin schon längst nicht mehr. In meinem Umfeld sind sich alle einig: Er ist komplett dem Wahn verfallen.
Und nebenher gibt es noch die Arbeit. Gibt es mein Album, an dem ich seit über einem Jahr sitze, schon zigmal kurz vor dem Aufgeben war und nun nicht mehr verstehe, wozu ich das überhaupt mache. Was es überhaupt noch für einen Sinn ergibt, irgendetwas zu machen, wenn das Leben einen einfach so rausreißen kann und alles, was man sich aufgebaut hatte, mit einem Mal nichts mehr wert ist.
Es fühlt sich egoistisch an, sich ablenken zu wollen – Ablenkung höchstens, wenn’s nicht anders geht. Aufstehen, Nachrichten lesen, wichtige Informationen teilen, den Hund spazieren führen, kurz etwas essen, dabei wieder die Nachrichten verfolgen. Arbeiten, ich muss doch arbeiten, aber ich kann nicht – wie kann ich gerade fröhlich posten, dass ein lang erwartetes Debut-Release ansteht, wenn ich mich nur verkriechen oder zumindest auf einer Demo brüllen will? Ich funktioniere. Was gemacht werden muss, wird gemacht. Wo geholfen werden kann, wird geholfen. Fast niemand nimmt sich raus. Das macht Hoffnung.
Der Tag ist um. Es hat sich nicht viel verändert. Und doch haben wir einen weiteren Tag lang bewiesen, dass wir noch da sind. Dass wir eine Berechtigung haben, hier zu sein. Und diese nimmt uns niemand.
Mascha Raykhman wurde in Kyiv geboren und kam mit vier Jahren als jüdischer Kontingentflüchtling nach München. Sie ist Sängerin, Songwriterin und Synchronsprecherin und tritt in verschiedenen Formationen in Erscheinung, aktuell mit ihrem ersten Solo-Projekt »Masha The Rich Man«. Seit Ende 2021 ist sie Mitglied im DTKV Berlin.
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