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26. Juli 2024

Informationen zur Arbeit an Musikschulen

Der Tonkünstlerverband Berlin veröffentlicht Wissenswertes für Lehrkräfte an Musikschulen zum Herrenberg-Urteil sowie zu den Themen Scheinselbstständigkeit, Statusfeststellung, Honorartätigkeit und Festanstellungen.

Wohl kein Thema ist an Musikschulen derzeit so vordergründig wie das »Herrenberg-Urteil« des Bundessozialgerichts (BSG) von Juni 2022. Als Vorstand eines Musik-Berufsverbands stellen wir bei allen Beteiligten große Unsicherheiten fest: bei Honorarkräften, bei Musikschulleitungen, bei soloselbstständigen Instrumental- oder Gesangspädagog:innen, bei Politiker:innen, zuständigen Verwaltungsebenen und auch bei Festangestellten, die um ihren Arbeitsplatz bangen.

In ganz Deutschland (allerdings nicht in allen Bundesländern gleichermaßen) ist derzeit eine regelrechte Einstellungswelle an Musikschulen zu beobachten. Fast täglich erreichen uns Nachrichten, welche Musikschule ihre Honorarkräfte ab Tag X in die Festanstellung übernimmt. Nicht alle Akteur:innen heißen aber die Tendenz zur Festanstellung gut, und es gibt dazu viele Vorbehalte. Nicht nur bei Arbeitgebern, sondern auch bei Freiberufler:innen. Auch innerhalb der Verbände gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das zeigt, wie vielfältig und bunt wir als Berufsgruppe sind.

Die Meinungen und Wünsche sind vielfältig. Viele Fragen erreichen uns. Teilweise sind Gerüchte im Umlauf und unbegründete Ängste. Wir sind im Gespräch mit allen möglichen Stellen und Personen. Wir fragten bei der KSK, bei der Rentenversicherung, bei der Krankenkasse nach. Wir sind in verschiedenen Gremien, hören zu und verfolgen die Debatte genau. Wir versuchen nun etwas aufzuklären. Das tun wir nach bestem Wissen und Gewissen, also nach allem, was wir bisher recherchiert haben. Beachtet aber bitte, dass wir keine Jurist:innen sind und dieses Informationsschreiben keine Rechtsberatung ersetzt.

Warum ist plötzlich alles anders?

Niemand hatte damit gerechnet, der Fall schien eindeutig: Eine freiberufliche Klavierlehrerin mit geringem Unterrichtsumfang und ausschließlich Einzelunterricht in der Musikschule. In den Jahren vorher gab es hin und wieder solche Fälle, die mal so, mal so entschieden wurden. Die Kriterien waren meist allen klar. Und doch: Das BSG entschied im Jahr 2022 völlig anders. Begründung: Die Berufsrealität und die organisatorische Integration der Lehrkraft unterschied sich kaum von der einer Festangestellten, die Kollegin wurde also vom Gericht als scheinselbstständig angesehen.

Die Räume waren festgelegt, die Zeiten konnte sie nur innerhalb der Grenzen der Raumverfügbarkeit nehmen, und das unternehmerische Risiko lag bei der Musikschule, denn diese machte die Verträge. Also mit anderen Worten: business as usual. So war es doch an Musikschulen aber immer, warum bewertete das BSG diese Faktoren plötzlich anders? Grund war (soweit wir wissen) eine neue personelle Zusammensetzung im Senat des BSG. Und diese ließen keinen Zweifel daran, dass sie künftig in ähnlichen Fällen genauso entscheiden würden.

Das rief die Dachverbände der deutschen Sozialversicherungsträger (GKV-Spitzenverband, Deutsche Rentenversicherung Bund und Bundesagentur für Arbeit) auf den Plan, die sich im April 2023 trafen, um aufgrund des Urteils neue Bewertungskriterien für Betriebsprüfungen und Statusfeststellungsverfahren (mit denen überprüft wird, ob eine Sozialversicherungspflicht besteht) zu entwickeln. Diese neuen Kriterien traten zum 01.07.2023 in Kraft und wurden von den meisten Kommunen und Musikschulträgern schlicht ignoriert oder nicht ernst genommen.

Erst als sich Statusfeststellungsverfahren häuften, einige Musikschulträger zu üppigen Nachzahlungen gezwungen wurden und auch der Verband deutscher Musikschulen (VdM) bei der Deutschen Rentenversicherung auf keine Verhandlungsbereitschaft stieß, wurde das Thema vom Süden zum Norden hin aktuell. Je größer die Städte und Verwaltungen, desto schwerfälliger wurde das Thema behandelt, da in den oberen Verwaltungsebenen schlicht kein Verständnis für die Problematik vorlag. Musikschulen sind ein so kleiner Teilbereich in öffentlichen Verwaltungen, dass kaum jemand in höheren Positionen um die Vorgänge darin weiß.

In vielen Regionen Deutschland gibt es kleine Vereinsmusikschulen, die gut wirtschaften müssen, da der Vorsitzende eines Vereins immer mit seinem persönlichen Vermögen haftet. Und Nachzahlungen in 6-stelliger Höhe würden das Aus und die Privatinsolvenz des Vorsitzenden bedeuten. Also handelten diese Musikschulen umgehend.

Die Angst geht um, dass Betriebsprüfungen oder individuelle Statusfeststellungsverfahren zu immensen Nachzahlungen führen und höhere Verwaltungsebenen versuchen könnten, Verantwortliche zu finden, namentlich die Musikschulleitungen, die ja diese Verträge unterschrieben haben. Und so entstand das derzeitige Chaos aus Kurzschlusshandlungen von verschiedenen Leitungen, Amtsleitungen, Verbänden, Honorarkräften etc. Letzter Stand ist: Alles darf erst einmal weiter gehen. Die Rentenversicherung hat bis zum 15. Oktober 2024 alle Betriebsprüfungen ausgesetzt und erstellt keine Statusfeststellungsbescheide. So bleiben wie jetzt darf es aber auf keinen Fall.

Das hindert auch niemanden an seinem Recht, eine individuelle Statusfeststellung zu initiieren. Die Chancen stehen gut, als langjährige Honorarkraft vorteilhaft durch ein Statusfeststellungsverfahren zu gehen und so zumindest für seine / ihre Rente die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge zu bekommen. Aber Achtung: Es geht dabei immer um einen regelmäßigen, auf Dauer angelegten Unterricht. Nicht relevant für die Statusfeststellung sind Workshops, zeitlich befristete Coachings oder befristete, pauschal bezahlte private Block-Kurse, Konzerte, etc.

Warum aber machen so wenige Kolleg:innen ein Statusfeststellungsverfahren? Der Grund: Ängste, Unsicherheiten und viele offene Fragen.

Das Statusfeststellungsverfahren: Was ist das eigentlich, und wer »klagt« da gegen wen?

Gleich vorweg: Seit 2022 ist vieles anders als vorher. Wenn Du also Dinge liest oder hörst, die davor stattfanden, muss das keine Bedeutung für das heutige Verfahren haben. Und: Es gibt verschiedene Statusfeststellungsverfahren. Mehr dazu hier.

Wenn Du für Dich also aktiv werden willst, dann kommt nur ein Weg in Frage: Ein Statusfeststellungsverfahren mit dem sogenannten »optionalen Anfrageverfahren« nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Damit wird geprüft, ob Deine Tätigkeit der Sozialversicherungspflicht unterliegt.

Wichtig: Dieses Verfahren hat nichts zu tun mit einer Betriebsprüfung oder anderen Verfahren. Zuständig dafür ist die sogenannte Clearingstelle der Rentenversicherung. Zum optionalen Anfrageverfahren schreibt diese:

  • »Jeder Beteiligte kann das Anfrageverfahren allein beantragen, die Beteiligten brauchen sich in der Beurteilung der Erwerbstätigkeit nicht einig zu sein. Die Statusfeststellung kann auch für bereits beendete Vertragsverhältnisse durchgeführt werden. Dazu haben die Beteiligten einen Antrag auszufüllen, der bei der Deutschen Rentenversicherung Bund angefordert werden kann. Der Antragsvordruck kann außerdem aus dem Internet abgerufen werden.«

Jeder Beteiligte heißt: Nicht nur Du, sondern auch Dein Arbeitgeber und sogar ein dritter Beteiligter, wie zum Beispiel eine Grundschule oder ein Jugendclub, bei dem Du im Auftrag der Musikschule ein Kooperationsprojekt durchführst, darf das initiieren. Es geht ja darum, Rechtssicherheit zu erlangen.

Und dann? Dann kannst Du Dich eigentlich zurücklehnen. Allerdings wird die Rentenversicherung von Dir Unterlagen anfordern, die über die Art Deiner Tätigkeit, die Arbeitsrealität und den Umfang aufklären sollen: Dein Honorarvertrag, Stundenpläne, evtl. Kooperationsvereinbarungen (wenn Du hast), Erklärungen, bei wem Du unterrichtet hast (in Schulen, Einrichtungen etc.)., wie die Schülerakquise gelaufen ist etc. Natürlich fordert die Rentenversicherung diese Unterlagen auch von der Musikschule an.

Wichtig: Nicht Du, sondern die Rentenversicherung steht im Dialog und ggf. Konflikt mit der Musikschule. Nicht Du musst Dich mit der Musikschule streiten und Unterlagen fordern, sondern die Rentenversicherung. Und: Die Clearingstelle wird Dich anhören. Du wirst vorgeladen und kannst Deine Sicht der Dinge darstellen. Genau das Gleiche darf auch die Musikschule tun.
 
Hier wird also gar nicht »geklagt«, sondern lediglich geprüft. Besorge also möglichst viele »Beweise« und Argumente, um die Arbeitsrealität in Deinem Sinne darzustellen. Erkläre zum Beispiel, dass Dir Schüler zugewiesen wurden, dass Du nur zu vorgegebenen Zeiten die Räume nutzen konntest, und dass Du persönlich den Unterricht halten musstest (und keine Vertretung erlaubt war) usw.

Dann fällt die Clearingstelle eine Entscheidung: entweder zu Gunsten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung oder zu Gunsten einer Selbstständigkeit. Nach derzeitigem Stand ist es in einem Musikschulkontext nur unter ganz bestimmten Bedingungen möglich, mit Selbstständigen bzw. Honorarkräften zu arbeiten. Dazu müsstest Du etwa die Verträge und das Honorar selbst aushandeln können sowie über Ort, Zeit und Inhalt des Unterrichts komplett selbst entscheiden dürfen. Es zeichnet sich allerdings ab, dass die Kriterien für die Beurteilung von selbstständigen Lehrtätigkeiten noch einmal neu bewertet werden. Mehr dazu später.

Was in jedem Fall zählt, ist Deine »betriebliche Eingliederung« in die organisatorischen Abläufe der Schule: Raum- und Zeitabstimmung, Zuweisung von Schüler:innen, gemeinsame Projekte etc.

Solltest Du in Kooperationsprojekten unterwegs sein, bzw. in allgemeinbildenden Schulen eingesetzt werden, oder ein arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis haben, ist der Fall eigentlich schon klar. Hier ist Ort, Zeit und Inhalt absolut festgelegt. Man kann nicht eben mal eine Schulklasse an einen anderen Termin schieben oder bei sich zu Hause unterrichten. Abgesehen davon sind in den meisten bisherigen Honorarverträgen Vertretungen verboten, der Unterricht muss also persönlich gehalten werden – ein Indiz für eine Scheinselbstständigkeit.

Bis hierhin brauchst Du keinen Anwalt. Alles macht die Clearingstelle der Rentenversicherung. Noch hat niemand geklagt, und es gibt kein Gerichtsverfahren. Erst wenn Du mit der Entscheidung (Bescheid) der Rentenversicherung nicht zufrieden bist, kannst Du in einem Widerspruchsverfahren dagegen vorgehen. Die Rentenversicherung schreibt dazu Folgendes:

  • »Nach Abschluss der Ermittlungen und vor Erlass ihrer Entscheidung hat die Rentenversicherung die Beteiligten anzuhören; sie erteilt anschließend den Beteiligten (Auftragnehmer und Auftraggeber) einen rechtsbehelfsfähigen begründeten Bescheid. Die zuständige Einzugsstelle erhält eine Durchschrift des Bescheides.
    In einem etwaigen Widerspruchsverfahren haben die Beteiligten ab 01.04.2022 das Recht, nach vorheriger schriftlicher Begründung des Widerspruchs eine mündliche Anhörung zu beantragen, die unter Teilnahme aller Beteiligten erfolgen soll. Entscheidet die Rentenversicherung im Einzelfall auf selbstständige Tätigkeit, prüft der zuständige Rentenversicherungsträger, ob Rentenversicherungspflicht als Selbstständiger eintreten kann.« (mehr dazu später)

Nach derzeitigem Stand ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass Du als Honorarkraft an einer öffentlichen Musikschule als selbstständig eingestuft wirst. Sollte das geschehen, empfehlen wir Dir, in den Widerspruch zu gehen und, wenn auch das scheitern sollte, ggf. einen Anwalt einzuschalten und gegen den Bescheid zu klagen.

Wie lange rückwirkend wird geprüft?

Normalerweise wird für einen Zeitraum von 4 Jahren rückwirkend geprüft. Stellt die Clearingstelle allerdings groben Vorsatz fest, kann sie für bis zu 10 Jahre rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber einfordern.

Es wurde eine Sozialversicherungspflicht festgestellt. Was passiert nun?

Der Bescheid der Clearingstelle der Rentenversicherung geht auch an die Einzugsstelle.
Was ist die Einzugsstelle? Lass uns dazu weiter ausholen.

Deine Sozialversicherungsbeiträge bestehen aus:

  • Krankenversicherung
  • Rentenversicherung
  • Pflegeversicherung und
  • für Angestellte auch aus der Arbeitslosenversicherung

Damit ein Arbeitgeber nicht an vier verschiedene Stellen überweisen muss, übernimmt die jeweilige Krankenkasse den Einzug aller Sozialversicherungsbeiträge und leitet diese dann weiter. Deine Krankenkasse ist also die Einzugsstelle.

Also: Nicht die Künstlersozialkasse (KSK) ist die Einzugsstelle, auch wenn Du selbst dorthin überweist. Warum?

Du als Künstler:in bist vermutlich über die KSK versichert. Das ist aber ein Sonderfall! Dazu später mehr im Kapitel zu sozialversicherungspflichtigen Selbstständigen. Als Freiberufler:in in künstlerischen und publizistischen Berufen zahlst Du Deine kompletten Beiträge an die KSK. Aber die KSK ist lediglich eine Art berufsspezifisches Versorgungswerk, die den gesetzlichen Arbeitgeberanteil zu den Beiträgen hinzufügt und dann gebündelt wiederum an Deine Krankenkasse überweist. Auch ist eine von der KSK festgestellte Versicherungspflicht kein Nachweis einer Selbstständigkeit, da es sich bei der KSK nicht um eine Prüfstelle handelt.

Die KSK ist also nicht die Einzugsstelle in einem Statusfeststellungsverfahren. Dies ist immer Deine Krankenkasse. An diese überweist der Arbeitgeber (oder auch die KSK) die Sozialversicherungsbeiträge. Die Krankenkasse überweist dann der Rentenversicherung die Rentenversicherungsbeiträge und der Pflegekasse die Pflegeversicherungsbeiträge. Und die Krankenkasse wird von der Clearingstelle automatisch informiert.

Ab diesem Moment ist der Fall für die Clearingstelle der Rentenversicherung erledigt. Deren Arbeit ist getan. Ab jetzt ist die Einzugsstelle zuständig, also Deine Krankenkasse. Diese schreibt nun den Arbeitgeber (also Deine Musikschule) an und fragt an, wie hoch das Bruttoeinkommen der betreffenden Lehrkraft gewesen wäre, wenn sie festangestellt gewesen wäre. Das ist ja je nach Stundenumfang unterschiedlich.

Der Arbeitgeber (!) meldet also der Krankenkasse, wie hoch das Bruttogehalt gewesen wäre. Danach berechnet die Krankenkasse die Sozialversicherungsbeiträge und schickt der Musikschule eine Nachforderung. Allerdings kennen die auch den Tarifvertrag des öffentlichen Diensts (TVöD). Denn danach geht es hier: In öffentlichen Musikschulen wird nach TVöD bezahlt. Die Berechnung ist dann einfach: Die Musikschule schaut sich den Stundenumfang an und berechnet die Höhe des geschuldeten Bruttogehalts nach dem damals gültigen Tarif.

Zahlt der Arbeitgeber nur den Arbeitgeber-Anteil an den Sozialversicherungsbeiträgen? Muss ich meinen eigenen Anteil nachzahlen? Und was ist mit meinen KSK-Beiträgen der letzten Jahre?

Vorweg: Nein, Du zahlst nichts mehr. Im Gegenteil: Du bekommst etwas zurück. Denn als Angestellter zahlt der Arbeitgeber immer die gesamten Sozialversicherungsbeiträge von Deinem Bruttogehalt an die Krankenkasse. Dir wird dann nur das Netto-Gehalt ausgezahlt. So ist das auch bei der Nachforderung. Die Musikschule muss also die kompletten Sozialversicherungsbeiträge bezahlen: den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmer-Anteil gleichzeitig.

Nachzahlen müsstest Du nur, wenn Du als Selbstständige:r an dieser betreffenden Musikschule (nicht als freiberufliche:r Musiker:in!) mehr verdient hättest als in einer Festanstellung. Das ist so gut wie unmöglich, denn dazu müsstest Du ein Honorar von mehr als 60 € pro 45-minütige Unterrichtseinheit bekommen haben, und dieses auch noch ohne jegliche Betriebsausgaben vollständig als Bruttoeinkommen bei der KSK angegeben haben.

Von einem solchen Fall haben wir noch nie gehört. Sollte jemand unter Euch sein, für die:den das zutrifft, meldet Euch bitte bei uns. Wir lernen gerne dazu. In diesem Fall empfehlen wir Dir, auf keinen Fall eine Statusfeststellung zu initiieren. Denn dann hast Du schon gut vorgesorgt für dich.

Da nun der Arbeitgeber (die Musikschule) alle Deine Sozialversicherungsbeiträge nachgezahlt hast, waren Deine eigenen Beiträge an die KSK ja nicht richtig. Die hättest Du ja nicht oder zumindest nicht in dieser Höhe zahlen müssen, daher bekommst Du sie zurück erstattet. Aber Achtung: Die meisten von Euch arbeiten mehrgleisig – als Pädagog:in und als freiberufliche:r Musiker:in gleichzeitig.

Kein Problem. Erinnern wir uns – es gibt drei verschiedene Zweige der Sozialversicherungen: Krankenversicherung, Rentenversicherung und Pflegeversicherung.

Für die Krankenversicherung und Pflegeversicherung gilt: Beiträge werden nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) nur von der Hauptbeschäftigung abgeführt, also meistens die der Musikschule. Nicht von der Nebenbeschäftigung, also von der Tätigkeit als freiberufliche:r Musiker:in. Näheres findest Du hier.

Du hast aber mehr Einnahmen als freie:r Musiker:in? Es geht hier darum, möglichst viel für Dich herauszuholen. Also unser Tipp: Wenn schon die Musikschule Deine Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen muss, dann nutze das doch – dann ist eben in dieser Zeit Deine Hauptbeschäftigung die Musikschule, gesetzt den Fall, Du kannst das nachweisen. Wenn Du hingegen lediglich 6 Unterrichtseinheiten unterrichtest und sonst mit Deinem Kammermusikensemble von einem Event zum nächsten tourst und dafür Gagen im höheren 4stelligem Bereich kassierst, wird es natürlich schwierig, hier eine Hauptbeschäftigung bei der Musikschule anzuerkennen.

Zur Rentenversicherung: Die Beiträge können gleichzeitig aus verschiedenen Tätigkeiten kommen und addieren sich.

Das musst Du der KSK nun natürlich mitteilen! Denn Du willst ja möglichst viel für Deine Rente »ansparen«. Daher solltest Du dann der KSK mitteilen, wie hoch der Anteil Deiner freiberuflichen Musiker:innentätigkeit im betreffenden Zeitraum war. Dann überweist die KSK Dir nur den Anteil Deiner Lehrtätigkeit an der betreffenden Musikschule zurück. Den anderen Anteil belässt sie bei der Rentenversicherung. So hast Du später mehr Rente.

Wie weist Du das nach? Dazu genügt der Steuerbescheid, denn da steht genau drin, wie hoch die Verdienste in den verschiedenen Tätigkeiten waren. Du trennst doch Lehrtätigkeit und Arbeit als Musiker:in, oder? Wenn nicht: Das ist eigentlich nicht erlaubt, aber Du kannst das dann über einen prozentualen Anteil am Gesamtverdienst angeben oder auch über eine Gewinn- und Verlustrechnung nachweisen. Je nachdem, was für Dich besser ist.

So bekommst Du also bei einer Statusfeststellung, die eine Sozialversicherungspflicht ergibt, Deine gesamten an die KSK gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zurück, und anteilig evtl. auch Deine Rentenversicherungsbeiträge für die Tätigkeit als Musikschullehrkraft.

KSK und Festanstellung gleichzeitig: Geht das?

Ja, das geht problemlos. Zwei Fälle sind möglich:

  • Erstens: Die selbstständige Tätigkeit ist Deine Hauptbeschäftigung, und Du hast nur einen kleinen Unterrichtsumfang als Nebenjob in einer Festanstellung (unter 50 % Teilzeit).
  • Zweitens: Die selbstständige Tätigkeit ist deine Nebenbeschäftigung, und Du hast einen großen Unterrichtsumfang als Hauptjob in einer Festanstellung (mindestens 50 % Teilzeit bis Vollzeit).

Im ersten Fall (Selbstständigkeit vorherrschend) bist du hauptsächlich über die KSK sozialversicherungspflichtig und führst an diese deine Krankenversicherungs-, Pflegeversicherungs- und Rentenversicherungsbeiträge ab. Voraussetzung ist aber dafür immer, dass Du mehr als 50 % Deines Einkommens aus selbstständiger Arbeit erwirtschaftest und die Mindesteinkommensgrenze von 3.900 € jährlich erreichst.

Im zweiten Fall (Anstellungsverhältnis vorherrschend) bist Du über Deinen Arbeitgeber sozialversichert und führst an die KSK nur noch Rentenversicherungsbeiträge für Dein Nebeneinkommen als selbstständige:r Musiker:in oder Musikpädagog:in ab. In diesem Fall zahlst Du also keine Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge mehr an die KSK, sondern nur noch Rentenversicherungsbeiträge. Hierbei musst Du auch nicht die Mindesteinkommensgrenze von 3.900 € pro Jahr erreichen. Allerdings wird die Summe von 3.900 € als sogenannte Mindestbeitragsbemessungsgrenze herangezogen. Das bedeutet: Egal, wie viel weniger Du real verdienst, der an die KSK zu zahlende Rentenbeitrag ist so hoch, als würde Dein Einkommen 3.900 € im Jahr betragen. Für alles darüber zahlst Du natürlich den entsprechend höheren Beitrag.

Sollte man nun eine Statusfeststellung initiieren? Was hätte das für Konsequenzen?

Die Konsequenzen könnten sein: Du wirst schief von der Musikschulleitung angeschaut. Es soll Hinweise geben, dass es Leitungen gibt, die sofort Honorarverträge kündigen wollen, wenn jemand ein Statusfeststellungsverfahren einleitet. Dagegen könnte man juristisch vorgehen, aber es ist auch pädagogisch absolut nicht nachvollziehbar und ändert auch an den Konsequenzen für den Arbeitgeber nichts. Nachzahlen muss er ohnehin, egal ob Du nun gekündigt bist oder nicht. Es ist also völlig sinnlos für ihn, da es an diesem Punkt bereits zu spät für ihn ist. Und wenn es um eine zurückliegende Beschäftigung geht, hast Du rein gar nichts zu befürchten.

Die Konsequenzen könnten auch sein: Du hast etwas für Deine Rente getan, hast einen Präzedenzfall geschaffen und könntest – sofern Du dazu Energie hast und es willst – auf einen Arbeitsvertrag klagen. Dazu mehr unten.

Mit einer Festanstellung muss ich ja soviel Steuern zahlen. Und wenn ich nun zwei Festanstellungen habe, komme ich in Steuerklasse 6. Das will ich nicht.

Steuern zahlst Du immer nur auf das Geld, was Du verdienst. Verdienst Du mehr, zahlst Du mehr Steuern.

Richtig: Als Selbstständige:r hast Du vielleicht mehr Möglichkeiten der Geltendmachung von Ausgaben. Aber wer hindert Dich daran, neben einer Teilzeit-Festanstellung selbstständig tätig zu sein und über diese selbstständige Tätigkeit wie bisher Betriebsausgaben geltend zu machen (Instrumentenkauf, Proberaumkosten etc.)? Und auch für Angestellte gibt es viele Möglichkeiten der Absetzung sogenannter Werbungskosten. Wer vorher clever war, kann das auch bei einer Festanstellung.

Das gilt auch für die Steuerklasse 6. Hier zahlst Du von vornherein eine Einkommensteuer von ca. 40 %. Dann musst Du eine Steuererklärung machen. In dieser wird dann alles miteinander verrechnet, und Du bekommst eine Rückerstattung oder, wenn es ungünstig läuft, eine Nachzahlung. Evtl. ist es für Dich lukrativer, ein paar Stunden weniger zu arbeiten und Deine zweite Anstellung in einen Minijob umzuwandeln. Da hast Du so gut wie keine Abgaben.

Verdiene ich wirklich so viel mehr als Festangestellte:r?

Ganz klar: Ja! Immer wieder stellen wir fest, dass falsch gerechnet wird und Äpfel mit Birnen (oder besser: Brutto mit Netto) vermischt werden. Einige grobe Zahlen:

Als Honorarkraft an einer öffentlichen Musikschule verdienst Du pro Unterrichtseinheit 30–50 € brutto. Mit einer TVöD- bzw. TV-L-Stelle erhältst Du, je nach Einstufung und Erfahrungsstufe und heruntergebrochen auf eine gegebene Stunde, 50–70 € brutto pro Unterrichtseinheit.

Nun machen einige den Fehler und rechnen mit einem 4-Wochen-Monat als Honorarkraft und stellen das dem Nettogehalt des TVöD gegenüber. Da sind schon zwei Fallen drin:

  • Wann bekommst Du schon mal ein 4-Wochen-Honorar? Im Schnitt über das Jahr bekommst Du einen 3-Wochen-Monat ausbezahlt, denn von 52 Wochen sind 12 Wochen Ferien. Diese bekommst Du in der Regel nicht bezahlt. Im den Sommerferien sieht es meist übel aus.
  • Vom Honorar musst Du nun noch Deine KSK-Beiträge, Steuern, Haftpflicht- und Unfallversicherung etc. bezahlen. Was bleibt dann übrig? Demgegenüber steht Dir ein Nettogehalt auf dem Konto komplett zur Verfügung. Alle Beiträge und Steuern sind schon abgeführt.

Du willst wissen, was Du als angestellte Musikschullehrkraft verdienen würdest? Hier geht’s zum TVöD-Rechner.

Eine Musikschullehrkraft mit abgeschlossenem Studium bekommt in der Regel die TVöD-Entgeltgruppe 9b. Außerdem wird man, abhängig von den Jahren der Berufszugehörigkeit, in eine Erfahrungsstufe eingeordnet. Nicht zu unterschätzen für später. Als TVöD-Lehrkraft bekommst Du außerdem eine Zusatzrente. Die lohnt sich.

Ich werde vermutlich mit Erfahrungsstufe 1 angestellt, obwohl ich seit Jahren Honorarkraft bin. Ist das erlaubt?

Nein. Einige Städte und Gemeinden machen das trotzdem, obwohl im TV-L bzw. im TVöD/VKA (Tarifvertrag des Verbands kommunaler Arbeitgeber) ganz eindeutig steht »einschlägige Berufserfahrung« und nicht »Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst«. Die Erfahrungsstufen 1 und 2 sind für Berufsanfänger:innen gedacht. Wenn Du länger als 3 Jahre in einer Musikschule gearbeitet hast, musst Du mindestens mit Stufe 3 angestellt werden. Das ist auch die Wechselstufe von einem Arbeitgeber zum anderen. Eine höhere Einstufung ist Verhandlungssache. Aber als langjährige Musikschullehrkraft musst Du mindestens die Erfahrungsstufe 3 bekommen.

Was, wenn Du trotzdem in die Erfahrungsstufe 1 oder 2 kommst? Tritt in die Gewerkschaft ein, warte die Probezeit ab, und dann klage. Das lohnt sich: Du bekommst eine Nachzahlung rückwirkend bis zu einem halben Jahr vor der Geltendmachung der Forderung. Man könnte den Text des Tarifvertrags (siehe TV-L § 16 Abs. 2) sogar so lesen, dass Dein vorheriger Arbeitgeber derselbe sein kann. Dann müssen Dir sogar alle Berufsjahre dort angerechnet werden, und Dir stünden sogar höhere Stufen zu. Lass Dich da gern von der Gewerkschaft beraten.

Ich will frei sein und lieber als Honorarkraft arbeiten.

Damit bist Du nicht allein. Vielen Kolleg:innen geht es genauso, und es ist immer eine Frage der Abwägung und der persönlichen Präferenz. Man kann als freiberufliche:r Musiker:in und Musikpädagog:in ein gutes Auskommen haben. Wenn man allerdings ein existenzsicherndes Einkommen aus Lehrtätigkeiten an Musikschulen erzielen möchte, ist das mit ausschließlich selbstständiger Arbeit kaum möglich.

Eine Festanstellung hat objektive Vorteile. Sicher: Du bist weisungsgebunden. Aber das Arbeitsrecht hilft Dir hier. Eine Nebenbeschäftigung kann Dir nur verwehrt werden, wenn Du in Vollzeit angestellt bist und dies offensichtlich zu der Nebentätigkeit zeitlich kollidiert. Klar musst Du nun an Sitzungen usw. teilnehmen. Aber Du wirst schnell merken, dass Dein Einkommen deutlich höher ist als vorher. Das schafft Sicherheiten und nimmt Dir den Druck, jeden Gig annehmen zu müssen. Konzentriere Dich auf die Auftritte, die Dich weiterbringen oder einträglich sind.

Für Teilzeitangestellte wird eine ständige Verfügbarkeit und Weisungsbindung schwierig. Ein Arbeitgeber kann von einer Teilzeitangestellten mit 25 % nicht erwarten oder durchsetzen, bei jeder Lehrerkonferenz zu erscheinen. Das ist kaum durchsetzbar. Wenn es Ärger gibt: Im öffentlichen Dienst gibt es einen Betriebsrat oder Personalrat, der Dich meist unterstützt.

Außerdem: Ein guter Arbeitgeber fördert Deine musikalische Entwicklung und kann damit sogar werben. Was gibt es Besseres, als aus der Praxis zu lernen. Das geht nur, wenn die Lehrkräfte in der Praxis arbeiten. Zudem hast Du in einer Anstellung Anspruch auf kostenfreie Fortbildung. Bist Du krank, wird weiter gezahlt. Du hast Urlaub und musst nicht überlegen, wie Du in der Zeit über die Runden kommst. Das Verhältnis zur Musikschulleitung bestimmt Deinen Grad der Freiheit. Und ganz klar: Bist Du engagiert, wird Dir selten jemand das Verschieben des Unterrichts verwehren, wenn Du unterwegs bist.

Fest steht, dass Honorartätigkeiten im Bildungsbereich nach dem Herrenberg-Urteil sehr enge Grenzen gesetzt sind, wenn eine Scheinselbstständigkeit vermieden werden soll. Eine Alternative kann immer sein, Privatstunden auf eigene Rechnung anzubieten. Das bleibt weiterhin möglich und ist meist auch viel einträglicher als ein Honorarverhältnis in einer privaten Musikschule.

Es ist allerdings mit einer Weiterentwicklung der Situation zu rechnen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sieht Handlungsbedarf beim Statusfeststellungsverfahren, da es aktuell große Unsicherheit erzeugt. Einiges deutet darauf hin, dass weiterhin eine freie Wahl des Arbeitsverhältnisses gewährleistet sein soll, wenn die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge gesichert ist. Es sollten also auch in Zukunft Honorarlehrtätigkeiten möglich sein. Im Herbst 2024 werden Anhörungen von Verbänden und Bildungsträgern stattfinden, um zu klären, welche Merkmale Honorarverträge erfüllen müssten, damit sie im Rahmen der Statusfeststellungskriterien der Rentenversicherung rechtssicher sind. Dies könnte insbesondere privaten Musikschulen helfen, die es nicht finanzieren können, alle Lehrkräfte anzustellen.

Sozialversicherungspflichtige Selbstständigkeit: Was ist das?

Darüber wird viel berichtet. Vielleicht – so erhoffen sich einige politische Akteur:innen – ist dies das Mittel der Wahl in der derzeitigen Musikschul-Misere. Nach unserem Kenntnisstand irren sie sich. Hier herrscht anscheinend großes Unwissen. Um das zu verstehen, muss man sich kurz das Sozialversicherungssystem in Deutschland anschauen.

Hierzulande gilt für fast alle Erwerbstätigen eine grundsätzliche Sozialversicherungspflicht in der Rentenversicherung. Das wird im SGB VI geregelt, welches nur wenige Ausnahmen zulässt: Beamte, Studierende und Selbstständige sind im Großen und Ganzen nicht versicherungspflichtig. Aber auch hier gibt es nun Ausnahmen. Mehrere selbstständige Berufsgruppen sind nach § 2 SGB VI immer sozialversicherungspflichtig:

  • Hebammen und Pfleger
  • Lotsen und Küstenschiffer
  • Lehrer:innen (!)
  • Handwerker:innen
  • Hausgewerbetreibende
  • Künstler:innen und Publizist:innen (!)

Diese Berufsgruppen sind die sogenannten sozialversicherungspflichtigen Selbstständigen. Für jede dieser Gruppen gibt es Versorgungswerke, welche die Pflichtbeiträge kassieren, ggf. steuerlich aufbessern und dann an die entsprechenden Sozialversicherungsträger abführen. Im Falle der Künstler:innen und Publizist:innen ist das die uns allen bekannte Künstlersozialkasse.

Das heißt: Die erhoffte Lösung einiger Politiker:innen ist das, was Du schon längst bist. Als freiberufliche:r Musiker:in oder Musikpädagog:in ist man per Definition sozialversicherungspflichtig selbstständig. Das ist nichts Neues oder gar eine heilsbringende Sparlösung, sondern einfach das Gesetz laut § 2 SGB VI.

Aber dann ist doch alles in Ordnung in der Musikschule: Die Honorarkräfte sind über die KSK sozialversichert. Wozu also die Aufregung?

Hier geht es um die Ausgestaltung des konkreten Arbeitsverhältnisses an der Musikschule zwischen dem Auftraggeber (der Musikschule) und Dir als Auftragnehmer:in. Es wird ja gerade festgestellt, ob es sich aus sozialrechtlicher Sicht überhaupt um eine selbstständige Tätigkeit handelt, bei der Du als Auftragnehmer die Sozialversicherungsbeiträge in eigener Verantwortung abführst (an die KSK), oder ob es sich um eine lohnabhängige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt, bei der der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge abführen muss und nicht Du selbst.

Es geht nicht darum, festzustellen, ob Deine selbstständige Tätigkeit überhaupt sozialversicherungspflichtig ist. Das ist sie ohnehin, denn Künstler:innen und Publizist:innen unterliegen in Deutschland immer einer Sozialversicherungspflicht.

Ergibt sich nach einer positiven Statusfeststellung rückwirkend ein Arbeitsvertrag? Was hat es mit arbeitnehmerähnlichen Honorarkräften auf sich?

Das ist eine interessante Frage, die tatsächlich nach unserem Kenntnisstand noch niemand konsequent verfolgt hat.

In Deutschland herrscht traditionell (wie in den meisten anderen Ländern des ehemaligen römischen Reichs) das römische Recht: eine Zweiteilung des Rechts in Verwaltungsrecht (alles was öffentlich ist) und Zivilrecht (alles was private Belange angeht). Das Sozialrecht ist eine Sonderform des Verwaltungsrechts. Arbeitsrecht ist meist Zivilrecht. Auch die Gerichte sind also getrennt. Amtsgerichte, Landes- und Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof sind für Zivilverfahren zuständig, Verwaltungsgerichte und Sozialgerichte für Verwaltungs- und Sozialrechtsverfahren. Die Rechtsprechungen sind dabei teilweise widersprüchlich oder sogar grotesk verschieden.

Aus diesem Grund gibt es mitunter die Berliner Sonderform des arbeitnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnisses, auch an Musikschulen. Arbeitsrechtlich wurde also festgestellt, dass die selbstständige Tätigkeit unter dem Arbeitsrecht zu betrachten ist und somit ein Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall besteht.

Sozialrechtlich ist dieses Konstrukt schlicht noch nicht nach neuer Auslegung in einem Sozialgerichtsverfahren bemängelt worden. Wer in einem arbeitnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnis arbeitet, hat also eine fast hundertprozentige Aussicht auf Erfolg bei einem Statusfeststellungsverfahren. Aber bisher hat es einfach noch niemand versucht. Jedenfalls wissen wir davon nichts. Gebt gern eine Info an uns, wenn Euch ein Fall bekannt ist.

Umgekehrt ergibt sich nicht unbedingt automatisch aus einer positiven Statusfeststellung (also der Feststellung einer Sozialversicherungspflicht) rückwirkend ein Arbeitsvertrag, obwohl das logisch erscheint. Allerdings kann das Ergebnis der Statusfeststellung bei der arbeitsrechtlichen Bewertung der Beschäftigung eine große Rolle spielen. Das heißt: Willst Du über das Statusfeststellungsverfahren eine Festanstellung erwirken und stellt die Musikschule Dich nicht von sich aus an, musst Du den Arbeitsvertrag vermutlich nach der Statusfeststellung in einem gesonderten Arbeitsgerichtsverfahren einklagen.

Allerdings ist es gerade im Geltungsbereich des TVöD (öffentliche Musikschulen) schon ziemlich eindeutig, dass die Feststellung einer weisungsgebundenen Arbeitsrealität einen Arbeitsvertrag nach sich ziehen muss, da ja im Geltungsbereich des TVöD in alle Angestellten einer Einrichtung gleich behandelt werden müssen und entsprechend zu gleichen Bedingungen arbeiten müssen.

Es gibt einige Anwälte, die das Gegenteil behaupten. Allerdings stützen sie ihre Aussagen auf Fälle in der freien Medienbranche oder in Theatern mit temporären Saisonstellen.

Dazu muss man wissen, dass unser Sonderfall Musikschule bei Statusfeststellungen und in Gerichtsverfahren so selten vorkommt, dass es schlicht an Fallbeispielen mangelt. Uns ist bisher kein Fall bekannt, bei dem jemand im Anschluss an eine Statusfeststellung einen rückwirkenden Arbeitsvertrag eingeklagt hat. Sollte jemand von Euch so einen Fall kennen, freuen wir uns über eine Kontaktaufnahme.

In den Fällen, die derzeit durch die Presse gehen, wurden Arbeitsverträge entweder ohne vorheriges Statusfeststellungsverfahren erwirkt oder nach dem Verfahren gar nicht erst eingeklagt, da den Beteiligten die Situation offenbar hinreichend deutlich erschien. So auch im Falle der Klavierlehrerin aus Herrenberg. Dort hat allerdings die Stadt als Musikschulträger gegen eine rückwirkende Statusfeststellung der Rentenversicherung geklagt. Und dann zog sich das Verfahren durch die Instanzen bis zum BSG, dem obersten Sozialgericht in Deutschland.

Muss nun für jede neue Stelle ein Bewerbungsverfahren eingeleitet werden?

Nicht unbedingt. Die meisten Musikschulen, die derzeit auf Anstellungsverhältnisse umstellen, übernehmen einfach ihre bisherigen Honorarkräfte. Das ergibt pädagogisch im Sinne eines kontinuierlichen Lehrer-Schüler-Verhältnisses auch Sinn. Sollte ein Bewerbungsverfahren nötig oder gewollt sein, kann man auch eine interne Ausschreibung erwirken und die Honorarkräfte dazu einladen. Das Verhältnis zur Musikschulleitung muss schon sehr beeinträchtigt sein, sollte sich eine Leitung in einem solchen Verfahren gegen die bisherige Honorarkraft zu Gunsten eines externen Bewerbers entscheiden.

 

Wir hoffen, wir konnten Euch ein wenig helfen!
Schreibt uns gern Eure Rückmeldungen und Meinungen zu der Problemlage.

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Berlin, den 25.07.2024

Autor: Alf Schulze
Mitarbeit: Wendelin Bitzan

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